Erwin Ay: geb. in Greifswald Als Flüchtling in Dänemark

Der Greifswalder Dr. Erwin Ay flüchtete 1945 als 15-Jähriger mit seiner Familie aus Ostpreußen nach Dänemark. Seit seiner Pensionierung befasst er sich mit der Geschichte der deutschen Flüchtlinge in Dänemark. Mit Unterstützung von Professor Jens Olesen, Lehrstuhlinhaber für Nordische Geschichte an der Universität Greifswald, gelang es ihm, Kontakt zu dem dänischen Historiker Arne Gammelgaard zuknüpfen, der sich ebenfalls mit diesem Thema befasst. Aus dieser Zusammenarbeit entstand im Mai 2005 ein ausführlicher Zeitungsartikel über seine Erlebnisse. Diesen Artikel entdeckte ein anderer ehemaliger Insasse des Lagers, der heute am Niederrhein wohnt, und meldete sich bei Erwin Ay. Er konnte berichten, dass von dem ehemaligen Lager Kompedal noch drei Baracken erhalten sind, wovon eine als Gedenkstätte für die deutschen Flüchtlinge ausgebaut ist. Erwin Ay will mit der Information über die damaligen Geschehnisse dazu beitragen, eine Brücke zwischen den damaligen Flüchtlingen und der dänischen Bevölkerung zu schlagen. Insgesamt waren fast 250.000 Deutsche als Flüchtlinge in Dänemark untergebracht worden.

Vor 60 Jahren kam ich mit meiner Mutter und 5 Geschwistern in einem Eisenbahntransport von Sassnitz nach Dänemark. Wir waren zufrieden und glücklich, die Anstrengungen und Gefahren der Flucht von Ostpreußen über die Ostsee überstanden zu haben. Am 2. März 1945 hielt unser Zug zum ersten Mal auf einem dänischen Bahnhof... Einige Leute, so auch mein Bruder und ich, stiegen aus dem Zug und liefen stadteinwärts, um in einem Bäckerladen Kuchen oder Brötchen zu kaufen. Die Bäckersfrau reichte uns eine Tüte Kuchen und als ich ihr ein silbernes Fünfmarkstück geben wollte, sagte sie freundlich: „Nein, ohne Geld.“ Das war unsere erste Bekanntschaft mit einer Dänin…Erst am Morgen hielt der Zug in der Stadt Kjellerup. Am Bahnhof stiegen wir in LKW der Wehrmacht, die uns zum Zielort Bøgildgård brachten.

Das von uns bezogene mehrstöckige rote Backsteingebäude war das Internat einer Landwirtschaftsschule, zu der eine Gärtnerei gehörte. Wir fühlten uns sicher und geborgen, und was den Krieg anbetraf, so hielten wir ihn längst für verloren. Es konnte sich nur noch um Tage oder Wochen handeln. Uns wurde gestattet, in die nahe Stadt zu gehen. Kjellerup mit seinen kleinen Geschäften, Straßen und Plätzen machte auf uns einen guten Eindruck. Unvergesslich bleibt meine Konfirmation in der schönen Kirche der Stadt… Mit der Kapitulation der Wehrmacht und deren Abzug am 5. Mai begann die Zeit der Ungewissheit, der Ängste und Hoffnung, bald nach Hause zu kommen. Dass unsere weitere Anwesenheit im Land unerwünscht war, spürten wir an den Blicken der in der Gärtnerei arbeitenden Lehrlinge, die uns Jugendliche als Faschisten beschimpften und verprügeln wollten. Andere dagegen, wie der Beschäftigte aus der Molkerei, aus der wir täglich unsere Milch holten, waren gleichbleibend freundlich.

Groß war die Enttäuschung besonders unter den Frauen, als es hieß, wir kommen nicht nach Hause, sondern in ein anderes Lager... Wir Jugendlichen halfen beim Aufbau des Lagers Kompedal. Der Umzug erfolgte Ende August/Anfang September 1945. Im Lager lebten etwa 1000 bis 1500 Flüchtlinge, hauptsächlich Frauen mit Kindern und Ältere. Wir wohnten in Baracken mit 20 bis 30 Personen in einem Raum. Unser Bewegungsradius war eingeschränkt. Verließen wir die Wohnbaracke, sahen wir den Stacheldrahtzaun, den Sportplatz, die Heide und außerhalb des Lagers den Wald. Außer den Wachposten waren keine Dänen zu sehen. Das Leben war recht eintönig. Wir Jugendlichen fanden Abwechslung durch die Bildungskurse sowie in Sport- und Tanzveranstaltungen. Für die männlichen Personen bestand Arbeitspflicht…

Viele lebten in Ungewissheit über den Verbleib der Angehörigen, dachten an die verlorene Heimat und die Stunde, in der sich endlich der Schlagbaum am Lagertor für sie heben würde. Die Informationen über die katastrophale Lage in Deutschland, die zerbombten Städte und Dörfer, den Hunger und die Not wirkten beängstigend. Ich hörte deshalb oft die Meinung, dass wir zufrieden sein sollten, hier so leben zu können. Anfang Juni 1947 war es dann soweit. Wir durften nach Deutschland ausreisen. In Mecklenburg-Vorpommern fanden wir eine neue Heimat. Viele Erlebnisse und Bekanntschaften im Lager haben sich fest eingeprägt. Ich erinnere mich gern an den Lagerpolizisten, der außer seinem Gewehr ein Akkordeon mit auf die Wache am Stacheldrahtzaun nahm. Er hat auch mein eigenes Akkordeon gereinigt und gestimmt.

Text: Dr. Erwin Ay
(aus Greifswald KOMPAKT, Ausgabe 5/2006)

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