Fernwärmeversorgung in Greifswald

Fernwärmetrasse zwischen Lubmin und Greifswald (Foto: Stadtwerke Greifswald) Fernwärmetrasse zwischen Lubmin und Greifswald (Foto: Stadtwerke Greifswald)

Behagliche Temperaturen mit einem Dreh und ständig warmes Wasser – rund 70 Prozent der Greifswalder Haushalte in nahezu allen Stadtteilen nutzen diese komfortable und selbstverständliche Art des Heizens. Kaum verwunderlich, liegen ihre Vorteile doch klar auf der Hand: Fernwärme in Greifswald ist nicht nur bequem sondern auch umweltfreundlich, sauber, ganzjährig verfügbar, nahezu wartungsfrei und Platz sparend. Doch was so selbstverständlich und einfach erscheint, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Entwicklung und Arbeit, in die wir unseren Leserinnen und Lesern einen kleinen Einblick geben möchten.

Der erste Greifswalder Wärmeerzeuger überhaupt, das „Heizwerk am Ryck“, das zunächst der Versorgung der Universitätsneubauten in der Jahn-Straße diente, wurde im Jahre 1958 in Betrieb genommen. Mit der Errichtung der ersten Neubauten im Karl-Liebknecht-Ring folgte die Inbetriebnahme eines zweiten, mobilen Heizhauses in Schönwalde I, das von der damaligen Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) betrieben wurde. „Als die Kapazitäten mit der Erweiterung dieses Wohngebietes wiederum zu gering wurden, versorgte ein neues Heizhaus auf dem Gelände der heutigen Stadtwerke den expandierenden Stadtteil. Ab Mitte der Siebziger Jahre wurde auch Schönwalde II durch eine bis zur Koitenhäger Landstraße führende große Sockelleitung mit Heizung und Warmwasser versorgt“, erinnert sich Kurt Michel, damaliger Abteilungsleiter der „Wärmeversorgung“ der Kommunalen Wohnungsverwaltung.

Wenn heute rund zwei Drittel aller Wohnungen sowie zahlreiche öffentliche Einrichtungen im Handumdrehen über wohlig warme Räume verfügen, ist das auch ein Verdienst des 61-Jährigen. Als junger Ingenieur kam der heutige Geschäftsführer „Fernwärme“ der Stadtwerke Greifswald im Jahre 1968 in die Stadt am Ryck und bestimmte den Aufbau der Fernwärme seitdem maßgeblich mit. „Eine warme Wohnung und warmes Wasser – wann immer man wollte – man empfand es ein wenig als Paradies“, erinnert er sich an seine erste Neubauwohnung im Stadtteil Schönwalde I. Der endgültige Siegeszug der Fernwärme, der auch untrennbar mit der Errichtung des Kernkraftwerkes Lubmin verbunden ist, nahm Anfang der achtziger Jahre seinen Lauf. Denn die in den Vorjahren um ein Mehrfaches gestiegenen Weltmarktpreise für Erdöl hatten sich verheerend auf die ökonomische Entwicklung der DDR ausgewirkt. Auch die im Rahmen der folgenden staatlich angeordneten Energieträgerumstellung - im Volksmund auch spöttisch „Erich Teuerstes Unternehmen“ genannt - die die heimische Braunkohle für die Energiegewinnung stärken sollte, war wenig ergiebig. Denn die Heizleistung der Rohbraunkohle, die man am Kessel überredete, gut zu brennen, ließ zu wünschen übrig, so Kurt Michel. Das Kernkraftwerk, dessen erster Reaktorblock 1973 in Betrieb ging, deckte mit seinen vier Blöcken einst rund 10 Prozent des Strombedarfs der DDR. Nach der Verlegung der Fernwärmetrasse entlang der Eisenbahnstrecke Lubmin-Greifswald und der Errichtung der Wärmeübertragungsstation (WÜST 1) wurde die Fernwärmeerzeugung im Jahre 1981 aufgenommen.

Die Fernwärme machte die bei der Stromerzeugung des Kernkraftwerkes anfallende Wärme nutzbar, die in das Fernwärmenetz Greifswald eingespeist wurde und die Neubaugebiete mit Wärme und Warmwasser versorgte. Das Energiekombinat Nord lieferte die Energie bis Greifswald, für den reibungslosen Betrieb von der Heizreglerstation bis zum Heizkörper war wiederum die KWV zuständig. In den Folgejahren kamen mit dem Ostseeviertel und dem Rekogebiet in der Innenstadt weitere Neubauten, Schulen, Kindergärten und Versorgungseinrichtungen in den Genuss der Fernwärme. „Das war nur der Anfang für ein einzigartiges Modell, das Greifswald zu einem DDR-weiten Vorzeigeprojekt machen sollte. Greifswald sollte die erste Stadt sein, die komplett an der Wärmeversorgung eines KKW hängt. Es existierten bereits auch konkrete Pläne für den Anschluss von Gemeinden und Städten wie Wolgast, Insel Riems, Wusterhusen und Stralsund. Greifswald wäre mit Sicherheit schornsteinfrei gewesen, wenn die Wende fünf Jahre später gekommen wäre“, so Michel.

Die Wärme, die von nun an im Überfluss aus der Lubminer Heide kam, prägte aber auch den Umgang mit der Energie. Zusätzlich führte der allgegenwärtige Materialmangel zu einer Vielzahl von Problemen. So fehlte es an Isoliermaterial, was im Bereich der Fernwärmetrasse zu Energie- und Wasserverlusten von rund einem Drittel führte. „Wir hatten gerade in den Achtziger Jahren mit einem immer desolater werdenden Versorgungsnetz zu kämpfen. Dann fehlte es an Ersatzteilen und Regulierungsmöglichkeiten an den Heizkörpern, so dass die Mieter Raumtemperaturen von bis zu 28 Grad nur über das Fenster ausgleichen konnten. Dem Einsatz und Erfindungsreichtum der damaligen Fernwärmemitarbeiter war es so entscheidend zu verdanken, dass es zu keinen nennenswerten Versorgungsausfällen gekommen ist“, unterstreicht der Fernwärmespezialist.

Mit der Wende gingen aus dem Kombinat die Energie Werke Nord GmbH (EWN) hervor, deren einzige Aufgabe in der Abschaltung, der Sicherung und dem Rückbau der abgeschalteten Blöcke bestand. „Damit stellte sich die Frage der Greifswalder Strom- und Wärmeversorgung aufs Neue. Das bis 1993 noch existierende Ölheizwerk hatte nur noch die Funktion eines Anti-Havarie-Heizwerk auf dem heutigen Gelände der Stadtwerke und war der Gesamtversorgung Greifswalds nicht gewachsen“, erläutert Kurt Michel. So musste Anfang der 90er Jahre ein neues Energiekonzept für die Hansestadt her. „Endlich konnte das an der Planwirtschaft krankende System der Energieversorgung nachhaltig saniert werden“, erinnert sich Kurt Michel. Nach rund zehn Jahren Fernwärme aus der Lubminer Heide träumten so Einige noch von der Fortführung der Versorgung aus einem Lubminer Kraftwerk. „Doch das wäre im Interesse der Endverbraucher wirtschaftlich unvertretbar gewesen“, so Michel. „Und letztendlich dreht sich ja alles um den Preis“.

Das Greifswalder Konzept sah zum einen die Sanierung der innerstädtischen Leitungssysteme und zum anderen die Errichtung von Heizkraftwerken in den verschiedenen Stadtteilen vor. Nach der Gründung der Fernwärme Greifswald GmbH, der Beilegung des Stromstreites um die Energieversorgung in der ehemaligen DDR und der Bestätigung des Energiekonzeptes konnte mit der Verwirklichung des ehrgeizigen Vorhabens im Jahre 1991 begonnen werden. In nur fünf Jahren wurden mit vier Kraftwerken modernste und umweltfreundliche Anlagen errichtet, die Haushalte, Kliniken, Bibliotheken, Geschäfte und Schulen mit zuverlässiger und umweltfreundlicher Wärme sowie Strom versorgen. Und so kommt die Wärme ins Haus: ein viele Kilometer langes Wärmeleitungsnetz gewährleistet unter- und überirdisch den laufenden Betrieb an 365 Tagen im Jahr. Die hauseigenen Anschlussstationen machen aus der Fernwärme bedarfsgerecht geregelte Wärme, wie die Jahreszeit es erfordert und die Kunden es wünschen. Selbst Fußbodenheizungen und Lüftungsanlagen lassen sich per Fernwärme betreiben.

1993 wurde der Grundstein für das größte Heizkraftwerk, das heute einen Großteil der Universitäts- und Hansestadt mit Wärme versorgt, gelegt. Das Greifswalder Heizkraftwerk am „Helmshäger Berg“ nutzt mittels der Kraft-Wärme-Kopplung modernste Techniken, die die Energie quasi doppelt ausnutzt, indem die Wärme, die bei der Stromproduktion in den anfallenden Abgasen enthalten ist, über Wärmeaustauscher zur Heizwassererwärmung verwendet wird. Durch diese Weiternutzung der Abwärme erhöht sich der Energienutzungsgrad des Erdgases; der Ausstoß von Kohlendioxid konnte als direkte Folge bis zu 40 Prozent reduziert werden. Zugleich konnten sich die Abnehmer über eine deutliche Senkung der Fernwärmepreise freuen. Das Heizkraftwerk zählt zu den modernsten und besten kommunalen Anlagen in punkto Wirtschaftlichkeit in der Bundesrepublik. Auch heute noch ist es ein Vorzeigeobjekt der umweltfreundlichen Strom- und Wärmegewinnung.

Im September 1995 wurde dann die Greifswalder Thermoinsel in Betrieb genommen, die unter anderem die Kliniken und Studentenwohnungen in der Fettenvorstadt versorgt. Das Besondere an diesem Kraftwerk ist die luftbetriebene Wärmepumpe. Mittels Wärmeaustauschern auf dem Dach der Thermoinsel wird die Wärme aus der Umgebungsluft gewonnen. Die Innenstadt und die nördliche Fleischervorstadt erhalten seit Dezember 1995 Warmwasser und Heizwärme aus dem Blockheizkraftwerk in der Kapaunenstraße. „Spätestens seit die Kraftwerke mit der zuverlässigen Versorgung Greifswalds im kalten Winter 1997 ihre Bewährungsprobe bestanden hatten, waren auch die letzten Zweifler von der Leistungsfähigkeit der Anlagen überzeugt“, erinnert sich Kurt Michel. Ob Unternehmen oder Hauseigentümer, alle profitieren seitdem von den Vorteilen der Fernwärme. „Gerade bei einer langfristigen Betrachtung zeigt das Heizen mit Fernwärme große Vorteile. Sie ist seit Jahren eine der stabilsten Heizenergien. Kein eigener Heizkessel, keine Vorauszahlung für Brennstoffe, Platz sparende Hausübergabestationen und ein sehr geringer Wartungsaufwand“, zählt der Geschäftsführer die weiteren Vorteile der Fernwärme auf.

Wenn heute 70 Prozent aller Greifswalder über ein modernes Verteilernetz rund um die Uhr versorgt werden können, ist das ein jahrzehntelanger Verdienst der Mitarbeiter des Bereiches Fernwärme und ihres Geschäftsführers Kurt Michel, der im kommenden Jahr in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird. Die Fernwärme genießt in Greifswald einen guten Ruf, freut sich der 61-Jährige, der die Zukunft der Fernwärme positiv sieht. Riesensprünge werde es nicht mehr geben, eher setzt man bei der Fernwärme Greifswald GmbH auf einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess beim Ausbau vorhandener Netze.

Text: Sabrina Wittkopf-Schade, Foto: Stadtwerke Greifswald
(aus Greifswald KOMPAKT, Ausgaben 1 und 2/2007)

Werbung

Folgen auf Facebook oder Google+

 


Firmen-Beispiel Rubrik FIRMEN-MARKT-VEREINE

Testen Sie unseren Firmen-Katalog kostenfrei

News

GRÜNE Vorpommern-Greifswald fordern mehr Engagement gegen rechte Gewalt
(Greifswald) GRÜNE Vorpommern-Greifswald: Engagement gegen rechte Gewalt muss stärker gefördert werden. Michael Steiger: Nach den jüngsten Gewalttaten der rechten Szene Solidarität und bessere Unterstützung der Betroffenen notwendig
Schließung von Amtsgerichten in Mecklenburg-Vorpommern?
(Greifswald) Auch in der Hansestadt Greifswald wie im gesamten Landkreis Vorpommern-Greifswald wird die Sparmaßnahme von Ministerin Kuder, die zu einer Schließung zahlreicher Amtsgerichte in Mecklenburg-Vorpommern führen könnte, rege diskutiert - von Einwohnern wie von Politikern, die gern an entsprechende Wahlversprechen aus dem letzten Herbst erinnern. Im Folgenden lesen Sie eine Stellungnahme des Landtagsabgeordneten Bernd Schubert (CDU).
Existenzgründer-Seminare Greifswald
In der Hansestadt Greifswald finden in Kürze wieder Seminare für Existenzgründer statt, die nach den Richtlinien des Bundeswirtschaftsministeriums förderfähig sind. Die Durchführung der Seminare in Greifswald erfolgt nicht gewerblich, da es sich als geförderte Maßnahme um eine Bildungsmaßnahme des Bundes handelt.

Veranstaltungen in Greifswald und Umgebung (Grafik: Gerd Altmann/pixelio.de)