Betrifft: Erster Schnee
Eines Morgens leuchtet es ins Zimmer,
und du merkst: ´s ist wohl wieder mal soweit.
Schnee und Barometer sind gefallen.
Und nun kommt die liebe Halswehzeit.
Kalte Blumen blühn auf Fensterscheiben.
Fröstelnd seufzt der Morgenblattpoet:
„Winter lässt sich besser nicht beschrieben,
als es schon im Lesebuch steht.“
Blüten kann man noch mit Schnee vergleichen,
doch den Schnee… Man wird leicht zu banal.
Denn im Sommer ist man manchmal glücklich,
doch im Winter sentimental.
Und man muss an Grimmsche Märchen denken
Und an einen winterweißen Wald
Und an eine Bergtour um Silvester,
und dabei an sein Tarifgehalt.
Und man möchte wieder vierzehn Jahr sein:
Weihnachtsferien… Mit dem Schlitten raus!
Und man müßte keinen Schnupfen haben,
sondern irgendwo ein kleines Haus.
Und davor ein paar verschneite Tannen,
ziemlich viele Stunden vor der Stadt.
Wo es kein Büro, kein Telefon gibt.
Wo man beinah keine Pflichten hat.
Ein paar Tage lang soll nichts passieren!
Ein paar Stunden, da man nichts erfährt.
Denn was hat wohl einer zu verlieren,
dem ja doch so gut wie nichts gehört.
Mascha Kaléko
Mascha Kaléko, das lyrische Stenogrammheft. Kleines Lesebuch für Große 1956 Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
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