Universität Greifswald und Musik

Im Rahmen der zahlreichen Aktivitäten zum 550jährigen Bestehen der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald ist auch Musik in Wort, Schrift und Ton bedeutsam vertreten, und das keinesfalls als bloße kulturelle Garnierung. Seit es Universitäten gibt, hat Musik einen festen Platz im Fächerkanon und dem sonstigen akademischen Leben: zunächst als theoretisches Lehrfach, später dann auch als exercitium, also als musikalisch-praktische Übung, und als Mittel akademischer Repräsentation. So auch in Greifswald.

Bereits mit der Universitätsgründung beginnt eine Höhen und Tiefen aufweisende Entwicklung des Faches. Frühzeitig ist es für die Artistenfakultät belegt (1482), samt obligatorischem Lehrbuch (musica muris) und – allerdings erst nach der Reformation – entsprechenden und namentlich genannten Fachvertretern (1547–1553). Danach schweigen die Quellen. Allerdings verraten die Matrikeleintragungen hinsichtlich studierender Kantoren und Organisten – oder deren Söhnen – das Vorhandensein eines auch weiterhin kompositorisch und musikalisch nicht unerheblichen Potenzials (Hermann Bonnus, David Chyträus, Johann Freder, Johannes Micraelius, Andreas Ornitoparch, Lorenz Ribow, Paul Bucenus u.v.a.).

Neben einer Disputation de musica (1585) sind es dann vor allem die Universitätsbuchdrucker, die mit wichtigen Musikalien (A. Praetorius, J. Flittner, D. Friderici, J. M. Rubert, J. Vierdanck), Lehrwerken (E. Hoffmann, H. Faber, L. Ribow) und Gesangbüchern – darunter die berühmten Piae cantiones von 1582 – überregionale Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen. Als Lehrfach ist Musik aber auch weiterhin für lange Zeit nicht belegbar. Kaum dokumentiert ist auch ihre praktische, außeruniversitär getragene Verwendung bei den vielen akademischen Ritualen.

Erst im 18. Jahrhundert wird Musikalisches (Notenausgaben, Bücher über Musik, Musikästhetik) seitens der Geisteswissenschaft in den Gelehrten Zeitschriften der Universität umfänglich reflektiert. Jene Zeitschriften geben über Jahrzehnte hinweg zahlreiche Hinweise auf die Musikausübung (akademische Festlichkeiten) – leider fast immer ohne Nennung von Ausführenden oder Komponisten. Dem aufklärerischen Zeitgeist geschuldet, wird 1793 der erste akademische Musiklehrer (Balzer Christoffer) angestellt. Von nun an ist Musik zumindest als klingendes Exercitium (Unterweisung und „Uebungsconcerte“) regelmäßig vertreten. Das ist der Beginn einer Entwicklung, die von den Nachfolgern Andreas Abel (1816–1846), Gotthold Wöhler (1847–1855), Gustav Bemmann (1856–1883), Otto Dröhnewolf (1883–1897), Friedrich Reinbrecht (1897–1907), Rudolf Ewald Zingel (1907–1937), Friedrich Graupner (1941–1951), Fritz Westien (1965–1968) und Ekkehard Ochs (1969–2003) bis hin zum jetzigen Amtsinhaber Harald Braun (seit 2004) musikalischpraktisch ausgebaut und – seit Gotthold Wöhler – meist auch wieder mit dem Lehrfach (Vokal- und Instrumentalunterricht, Musiktheorie, Musikgeschichte) verbunden wird. Zeitweilig wichtig waren im 19. Jahrhundert zudem das Wirken des Altphilologen und Mozartforschers Otto Jahn (1842–1847) sowie der ganz praktische Einsatz (Dirigent) des Kameralwissenschaftlers Eduard Baumstark (1838–1876) für die Oratorien Händels (zusammen mit dem Greifswalder Singverein).

Wie gegenwärtige Forschungen zeigen, war auch die Ehrenpromotion des Stettiner Komponisten Carl Loewe (1832) nicht nur eine Marginalie. Während für die praktische Musikausübung in Chören, Orchestern und Kammermusikgruppen sowie deren immer umfangreicher werdende Umsetzung in akademisches wie öffentliches Konzertleben eine gut zweihundertjährige Tradition besteht, ist die des akademischen Lehrfachs Musik bedeutend kürzer.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts eher unsystematisch und weniger als „Musikgeschichte“ immer mal wieder und erst mit Wilhelm Kleefeld (1901–1904) kompakt im Angebot, wird es 1926 als Musikwissenschaft institutionalisiert und erhält mit Hans Engel (1926–1936) sowie Walther Vetter (1936–1941) renommierte Fachvertreter. Als Seminar (1928), dann als Institut (1940, zusammengelegt mit dem von Zingel geleiteten Kirchenmusikalischen Seminar) widmeten sich die beiden Lehrstuhlinhaber zusammen mit Erdmann Werner Böhme, Günther Kittler, Werner Freitag und dem Ethnologen Karl Kaiser der Erforschung und Pflege Pommerscher Musikkultur. Ihre Ergebnisse, niedergelegt in Denkmälerausgaben, der Zeitschrift Musik in Pommern, im Katalog der Musik in Pommern, sowie dem Pommerschen Volksliedarchiv und praktisch „ausprobiert“ im collegium musicum und seiner Konzertreihe der Offenen Abende sind noch heute Grundlage gleicher, seit der Wende wieder aufgenommener Bemühungen hinsichtlich lokaler und territorialer Musikforschung. 1951 wurde das Institut geschlossen, 1959 unter Hella Brock wiedergegründet.

Bis 1989 erfüllte es vielfältige Aufgaben in der speziellen Ausrichtung auf Lehrerbildung, die dann nach 1989 wieder um den Bereich der Musikwissenschaft erweitert wurde. 1996 entfiel auch diese Ausbildungsform wieder. Nach Wegfall der Lehrerbildung fusionierte die verbliebene Musikwissenschaft mit dem nun universitären Institut für Kirchenmusik. Über seine Perspektive kann angesichts gegenwärtiger Struktur- und Spardebatten nichts gesagt werden. Unabhängig davon bleibt das Fazit, dass Musik an der Greifswalder Universität seit Jahrzehnten eine wichtige und umfängliche Rolle spielt – sowohl für die Einrichtung selbst als auch mit ihrer Forschung (Musica Baltica, Wissenschaftliche Konferenzen, Publikationsreihe Greifswalder Beiträge zur Musikwissenschaft) und ihrer inzwischen internationalen musikalisch künstlerischen Ausstrahlung (Universitätschor, Universitäts-Sinfonieorchester, Kammermusik, Bachwoche, Konzerttätigkeit des Instituts für Kirchenmusik und Musikwissenschaft u.v.a.m.) darüber weit hinausweisend. Im Jubiläumsjahr wird sich dieses bedeutende Potenzial besonders repräsentativ darstellen!

Text: Ekkehard Ochs, Universitätsmusikdirektor i.R.
(aus Greifswald KOMPAKT, Ausgabe 5/2006)

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