Die Europäische Route der Backsteingotik, die auch durch die Universitäts- und Hansestadt Greifswald führt, verbindet Länder mit einer gemeinsamen Architektursprache. Backstein oder Ziegel, wie immer man diese leuchtend roten und langlebigen Steine bezeichnen mag, ist neben Holz und Steinen eines der ältesten und zugleich von Menschenhand geschaffenen Baumaterialen. Bereits in der Jungsteinzeit (ca. 10.000 bis 5.000 v. Chr.) stellten Menschen die ersten Ziegel aus tonhaltigem Lehm her, der in Rahmen in Form gebracht und mehrere Tage gebrannt wurde. Anschließend wurden die Backsteine behauen oder geschliffen, um sie auf das korrekte Maß zu bringen.
Dass aus diesem faszinierenden Baustoff im Mittelalter mächtige Kirchen, imposante Kathedralen, Klöster, Stadtbefestigungsanlagen sowie Rats- und Bürgerhäuser errichtet wurden, dazu mögen insbesondere auch das mangelnde Vorkommen an Natursteinen für derartige Bauvorhaben sowie die immer bessere Qualität und Maßgenauigkeit bei der Herstellung beigetragen haben.
Ihre Blütezeit und flächendeckende Ausprägung erlebte der mittelalterliche Backsteinbau in den mittel- und nordeuropäischen Küstenländern zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert. Zog es früher kaum Menschen in die neuen Städte und das rauen Land an der Ostsee, um als Erholungssuchende die Landschaft zu genießen und die Geschichte dieser Region zu entdecken, begeben sich Reisende heute mit Begeisterung auf die Spuren der faszinierenden Backsteinarchitektur. Denn auch Jahrhunderte nach ihrer einst spektakulären Errichtung prägen die aus rotem Backstein errichteten mächtigen Kirchtürme, Klöster und beeindruckenden Bürgerhäuser noch immer die Silhouetten der Städte und Ortschaften im hanseatischen Ostseeraum.
Das im Jahre 2002 ins Leben gerufene Projekt „Europäische Route der Backsteingotik“, das heute durch einen gleichnamigen, im Jahre 2007 gegründeten Verein betreut und weiterentwickelt wird, verbindet Länder und Menschen mit einer gemeinsamen architektonischen Vergangenheit und will neben dem einzigartigen nordeuropäischen Kulturerbe auch die Reize der küstennahen Landschaften, Kultur und Gastronomie erlebbar machen. Dazu wurde eine Route entwickelt, die sich über sieben Länder, 26 Städte und zwei Regionen erstreckt, die vom schwedischen Ystad über Dänemark, Deutschland, Polen, Litauen, Lettland bis in das estnische Tartu führt.
Auf der Route, über die sich Interessierte in zahlreich erschienen Broschüren und im Internet informieren können, lassen sich die verschiedenen Kulturen aus sieben Ländern erleben, die trotz aller Unterschiede eine Gemeinsamkeit verbindet: die traditionsreiche Backsteinarchitektur.
Auch die Universitäts- und Hansestadt Greifswald ist gemeinsam mit Anklam, Rostock, Stralsund, Wismar und Bad Doberan eine der 26 Städtestationen. Von der Blütezeit der mittelalterlichen Stadt künden noch heute die Backsteinkirchen St. Nikolai und St. Marien, das Giebelhaus Markt 11 an der Marktostseite und die Klosterruine Eldena. Das bekannteste Backsteinzeugnis ist wohl die Ruine des um 1200 gegründeten ehemaligen Zisterzienserklosters, die durch die Zeichnungen und Gemälde des in Greifswald geborenen Malers Caspar David Friedrich (1774–1840) auch weit über europäische Grenzen hinaus bekannt wurde. Sein Werk war es letztendlich auch, dass der weitere Verfall der Klosteranlage zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgehalten wurde und die Anlage samt Parklandschaft bis heute erhalten werden konnte. Mit dem schmuckreichen und einer reich gegliederten Schaufront versehenen Giebelhaus Markt 11, in dem sich heute ein Café befindet, kann Greifswald eines der schönsten Beispiele mittelalterlicher und hanseatischer Backsteinarchitektur vorweisen.
Weitere Informationen zur Europäischen Route der Backsteingotik unter www.eurob.org.
Text: Sabrina Wittkopf-Schade
(aus Greifswald KOMPAKT, Ausgabe 03/2008)
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