Von Skandinavien bis ins östliche Mitteleuropa machten sich einst Geistliche, Adelige aber auch einfache Menschen auf die lange, gefahrvolle und beschwerliche Reise zum Grab des Apostels Jakobus des Älteren. Einer Legende nach wurde Jakobus, der in Spanien erfolglos gepredigt hatte, unter Herodes in Jerusalem enthauptet, von seinen Jüngern mit Hilfe eines Engels nach Spanien gebracht und bestattet. Die in einem Grab gefundenen und Jakobus zugeschriebenen Gebeine machten Santiago um das Jahr 830 zum Wallfahrtsort, zu dem man aus Verehrung oder auf der Suche nach Seelenheil pilgerte. Andere wiederum begaben sich nach Spanien, um strafrechtlich oder testamentarisch verfügte Pilgerfahrten zu absolvieren.
Auch die traditionsreichen norddeutschen Hansestädte spielten bei der Jakobusverehrung eine wichtige Rolle. Sie weihten ihm Kirchen sowie Altäre und waren im Ostseeraum Ausgangspunkt für zahlreiche Pilgerfahrten zum Jakobus-Grab nach Santiago de Compostela. Wer es sich leisten konnte, wählte den Seeweg über die Ostsee, alle anderen machten sich zu Fuß oder mit dem Pferd auf den Pilgerweg, der sich seit dem 11. Jahrhundert längs der Handelsstraßen entwickelte, da diese mit Unterkünften, Verpflegung und Hospitälern eine unverzichtbare Infrastruktur für fromme Reisende boten. Die Jakobspilgerschaft erfuhr mit der Reformation und Aufklärung seit dem 16. Jahrhundert auch im Ostseeraum einen deutlichen Rückgang.
Seit dem Heiligen Jahr 1976 erlebt der „Camino“, wie der Jakobsweg auch genannt wird, eine Renaissance. Nicht zuletzt lassen uns Entertainer, Schauspieler und Politiker an ihren Erfahrungen auf einem Weg teilhaben, den jährlich rund 75.000 Pilger auf einem weit verzweigten Wegenetz, das durch ganz Europa führt, gehen. Waren es im Mittelalter überwiegend religiöse Motive, so sind es heute auch kulturhistorische Interessen, sportliche Gründe oder die Suche nach Stille, Begegnung, neuen Erfahrungen und Impulsen für den eigenen Lebensweg, die sowohl Christen als auch Atheisten aus aller Welt zum Pilgern bewegt.
Auch in Deutschland gibt es gut erhaltene und restaurierte Jakobuswege, die die Pilgertradition nicht nur zwischen Köln und Trier oder Konstanz und Freiburg wiederbeleben. Auf seiner Pilgerreise ins spanische Burgos inspiriert, gründeten der gebürtige Rheinländer Bernhard Weber und seine Mitstreiter im Mai 2005 in Weitenhagen bei Greifswald den Freundeskreis der Jacobswege in Norddeutschland, dessen Initiative es zu verdanken ist, dass man sie auch hierzulande wieder häufiger sieht: die Pilger mit Rucksack, an dem die Jacobsmuschel, das traditionelle Pilgerzeichen, befestigt ist. Mit der Markierung möglichst historisch fundierter, landschaftlich schöner und gut gangbarer Wege in Norddeutschland, die das Pilgern nach Santiago de Compostela erleichtern, leistete der Freundeskreis in den vergangenen Jahren einen wichtigen Beitrag zur Wiederbelebung dieser jahrtausende alten Tradition. „Auch Greifswald und Stralsund, das belegen Muschelfunde und Testamente, waren Ausgangspunkt und Zwischenstation der Pilger, die auf den alten Handelsstraßen reisten.“, weiß Bernhard Weber, Koordinator der Regionalgruppe Norddeutschland zu berichten.
Nicht immer war es leicht, die ehemaligen Pilgerrouten für die Nutzer des 21. Jahrhunderts neu auszugestalten, denn so manche historische Fernhandelsstraße liegt heute an stark befahrenen Fernstraßen. Dennoch ist es gelungen, eine stille, naturnahe, kultur- und religionsgeschichtlich interessante sowie zielführende Route zu schaffen, die die Begegnung von Pilgern fördert. Besonders stolz ist die Regionalgruppe Norddeutschland, die mittlerweile auch in der Deutschen Jakobus-Gesellschaft vertreten ist, auf die große Resonanz in der Region, die den Aufbau einer nahezu lückenlosen Kette an Herbergen und Unterkünften ermöglichte, in denen die Pilger am Abend freundliche und preiswerte Aufnahme finden.
Im Mai 2008, nach Fertigstellung des letzten Wegabschnittes zwischen Wismar und Lübeck, wird der Baltisch-Westfälische Jakobsweg offiziell eingeweiht. Der 1.200 Kilometer lange, mit einer stilisierten Muschel und dem Europazeichen auf Feldsteinen und Wegweisern gekennzeichnete Weg wird dann vom Fischerdörfchen Kamminke/Usedom bis in das westfälische Münster reichen und an die Route anschließen, die über Köln, Paris, Bordeaux und Burgos bis Santiago de Compostela führt.
Text: Sabrina Wittkopf-Schade
(aus Greifswald KOMPAKT, Ausgabe 12/2007)
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